4.7. Umkehrbare Funktionen
Im Zusammenhang mit der Hintereinanderausführung studiert man auch das
Problem der Umkehrbarkeit von Funktionen. Dahinter verbirgt sich die folgende
Fragestellung:
Ist irgendeine Funktion, so ist f eine Teilmenge von , die bestimmte Bedingungen erfüllt. Wenn man nun f "umkehrt", d.h. bei den Paaren, die f ausmachen, die Koordinaten vertauscht, also übergeht zur Teilmenge , ist dann damit automatisch
eine neue Funktion von B nach A gegeben oder nicht?
Nach den bisherigen Erfahrungen sind die Aussichten dafür eher gering; so
ist etwa für die konstante Funktion 2 auf , also für die Teilmenge ,
und hier wird außer der 2 keinem Element etwas zugeordnet und der 2 überdies auch noch unendlich viele!
Ist jedoch die Ausgangsfunktion f "gut genug", so ist auch ihre Umkehrung wieder eine Funktion:
Definition und Bemerkung: Wir nennen eine Funktion umkehrbar (oder bijektiv), falls jedes Element genau ein Urbild besitzt. In diesem Fall stellt die Menge
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[4.7.1] |
eine Funktion von B nach A dar. Sie ordnet jedem das einzige Urbild zu.
Ist f bijektiv, so nennen wir eine Umkehrfunktion von f.
Wir benutzen hier dasselbe Symbol wie bei einer Potenzfunktion mit Exponent −1. Aus dem Kontext geht aber immer hervor, welche Bedeutung gerade gemeint ist.
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Wir beginnen unsere Untersuchungen zur Umkehrbarkeit von Funktionen mit der Rolle der leeren Funktion und fragen:
Kann die Funktion überhaupt umkehrbar sein?
Ist , so liegt überhaupt keine Funktion vor; ist , so hat kein y aus B ein Urbild. Man hat also:
ist umkehrbar .
In diesem Fall ist und . Alle folgenden Bemerkungen sind auch für die leere Funktion gültig; der Beweis ergibt sich dabei stets aus den gerade genannten Beziehungen. Die im Weiteren notierten Beweise berücksichtigen nur den nicht-leeren Fall.
Die Formulierung eine Umkehrfunktion in [4.7.1] ist unnötig vorsichtig: Bijektive Funktionen haben genau eine Umkehrfunktion.
Definition: Ist umkehrbar, so heben sich und in ihrer Wirkung gegenseitig auf:
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[4.7.2] |
Diese Eigenschaft charakterisiert darüber hinaus die Umkehrbarkeit bereits vollständig. Ist nämlich eine Funktion, derart dass
, [*]
so ist f umkehrbar und . Insbesondere ist damit die einzige Funktion, die [*] erfüllt; wir nennen sie daher die Umkehrfunktion zu f .
Beweis: Wir zeigen zunächst die beiden Eigenschaften von :
-
und für alle ist
, denn x ist das einzige Urbild von .
-
und für alle hat man:
, denn ist nach Definition ein Urbild von x.
Sei nun mit genannten Eigenschaften gegeben. Wir zeigen die Umkehrbarkeit von f und geben dazu ein vor. Da hat man: , d.h. y ist das f-Bild von . Also hat y überhaupt ein Urbild. Hätte y nun zwei Urbilder, etwa , so wäre
Daher hat y auch nur ein Urbild, d.h. f ist umkehrbar. Schließlich ist , denn:
.
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In konkreten Fällen benötigen wir geeignete Verfahren, um Umkehrfunktionen zu finden. Kann man f graphisch darstellen, so lässt sich auch die Teilmenge , also die Menge , überblicken, denn sie entsteht aus f durch Vertauschen der Koordinaten, so dass ihr Bild durch Spiegeln an der 1. Winkelhalbierenden gewonnen werden kann.
Spiegelt man z.B. den Graphen der Funktion , so sieht das Spiegelbild durchaus wie ein Funktionsgraph aus; ist also wahrscheinlich umkehrbar.
Eine Berechnung der Umkehrfunktion ersetzt dieses Grafik natürlich nicht. Hierzu benutzt man meist die folgende Überlegung:
Bemerkung: Eine Funktion ist genau dann umkehrbar, wenn sich für jedes die Gleichung
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[4.7.3] |
eindeutig nach x auflösen lässt. In diesem Fall stellt die Zuordnung die Umkehrfunktion dar.
Beweis: Es ist eigentlich nichts zu zeigen, denn die eindeutige Lösbarbarkeit der Gleichung bedeutet nichts anderes, als dass jedes y genau ein Urbild hat.
Wir demonstrieren dieses Prinzip an unserem Eingangsbeispiel : Für ein beliebiges hat man:
.
Also ist umkehrbar und die Zuordnung liefert als Umkehrfunktion.
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Mit Hilfe des gerade beschriebenen Verfahrens gelingt es, die konstanten und die linearen Funktionen auf vollständig zu überblicken.
Bemerkung:
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Keine konstante Funktion ist umkehrbar.
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[4.7.4] |
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Jede lineare Funktion , mit ist umkehrbar. Die Umkehrfunktion ist wieder linear; ihre Steigungszahl ist der Kehrwert der alten: .
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[4.7.5] |
Beweis:
1. ► etwa hat kein Urbild.
2. ► Für jedes ist
.
Daher ist
umkehrbar und die Umkehrfunktion.
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Bei der Umkehrbarkeit von Funktionen spielen Definitions- und Bildbereich eine entscheidendere Rolle als bisher. Dies zeigt sich sehr deutlich am Beispiel der Quadratfunktion.
Beispiel:
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Die Quadratfunktion ist nicht umkehrbar.
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[4.7.6] |
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Die Funktion ist nicht umkehrbar.
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[4.7.7] |
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Die Funktion gegeben durch ist umkehrbar. Ihre Umkehrfunktion ist nicht die Wurzelfunktion , sondern die Funktion gegeben durch .
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[4.7.8] |
Beweis:
1. ► z.B. hat kein Urbild.
2. ► 4 etwa hat zwei Urbilder: 2 und −2.
3. ► Für hat man:
.
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Bei den trigonometrischen Funktionen auf führen Überlegungen zur Umkehrbarkeit zu neuen Funktionen. Ohne Beweis notieren wir hier das folgende
Ergebnis:
Bemerkung:
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sin und cos sind nicht umkehrbar, denn z.B. hat 0 in beiden Fällen unendlich viele Urbilder.
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[4.7.9] |
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Durch Reduktion auf geeignete Definitions- und Bildbereiche gelingt es, Einschränkungen dieser Funktionen umzukehren. Genauer gilt: Die Funktion
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ist umkehrbar. Die Umkehrfunktion ist der Arcussinus
.
-
ist umkehrbar. Die Umkehrfunktion ist der Arcuscosinus
.
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ist umkehrbar. Die Umkehrfunktion ist der Arcustangens
.
-
ist umkehrbar. Die Umkehrfunktion ist der Arcuscotangens
.
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[4.7.10] |
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Das Kriterium [*] aus [4.7.2] ist oft die einzige Möglichkeit, theoretische Ergebnisse zu gewinnen. Die folgende Bemerkung zeigt, dass die bijektiven Funktionen eine algebraische Struktur besitzen.
Bemerkung: Für beliebige, nicht-leere Mengen A, B und C gilt:
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ist umkehrbar und .
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[4.7.11] |
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Mit ist auch umkehrbar. Dabei ist .
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[4.7.12] |
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Sind und umkehrbar, so ist auch umkehrbar und .
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[4.7.13] |
Da assoziativ, aber nicht kommutativ ist, hat man mit [4.7.11/12/13] für die Menge aller bijektiven Funktionen von A nach A:
ist eine eine nicht-abelsche Gruppe.
Dabei ist das neutrale und das zu f inverse Element.
Beweis: In allen drei Fällen reicht es zu zeigen, dass die jeweils anstehende Funktion das Kriterium [*] in [4.7.2] erfüllt, also dort die Rolle von g übernimmt.
1. ► Hier sind beide Gleichungen identisch und trivialerweise gültig: .
2. ► Man hat für die Umkehrfunktion :
und
Damit aber erfüllt f (in vertauschter Reihenfolge) genau die definierenden Gleichungen für .
3. ► Wir rechnen nach, dass [*] erfüllt. Da assoziativ ist hat man:
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