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9.6. Nicht-endliche
Vektorräume |
Wir übertragen in diesem Abschnitt die bisher eingeführten Grundbegriffe
auf nicht-endliche Verhältnisse und beginnen dabei mit den Erzeugnissen: Zwar
lassen sich keine unendlich langen Linearkombinationen bilden, aber man kann die
Einschränkung, die Erzeuger müssen aus einem endlichen Vorrat an
Vektoren genommen werden, aufgeben.
Definition: Es sei V ein Vektorraum, eine Teilmenge von V. Dann heißt die Menge
das Erzeugnis von A. besteht also aus allen endlichen Linearkombinationen von Vektoren
aus A.
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Beachte:
- Der neue Erzeugnisbegriff ist eine Erweiterung des alten, denn man zeigt
leicht:
.
Beweis:
"": Jedes ist eine endliche Linearkombination von Vektoren aus , also Element von .
"": Ist , so ist x eine Linearkombination von einigen Vektoren aus . Fügt man nun die nicht benutzten Vektoren, versehen mit dem Skalar 0, als
Summanden der Linearkombination hinzu, so hat man x als Element von dargestellt.
- Die alte Festsetzung ist hier automatisch gegeben, denn die Summe über ein
leeres System ist per Definition gleich 0.
- Gelegentlich benutzen wir eine mehr mengentechnisch ausgerichtete
Darstellung:
,
und damit das Kriterium
.
-
Trivialerweise gilt: .
Die neuen Erzeugnisse haben die gleichen Eigenschaften wie die alten; so gilt
etwa:
Bemerkung:
ist der kleinste Untervektorraum von V, der alle Vektoren aus A
enthält.
Beweis:
- ist ein Untervektorraum von V, denn:
- , da und eine endliche Teilmenge von V ist.
-
-
-
enthält alle Elemente von A, denn:
Ist , so gilt für die endliche Teilmenge .
-
ist der keinste Untervektorraum dieser Art, denn:
Ist W ein weiterer Untervektorraum, so dass , so gilt insbesondere für jede endliche Teilmenge .
Also hat man: .
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Beispiel:
- In gilt: , denn: .
-
In gilt: .
Dies ergibt sich (mit ) aus der Darstellung
.
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Wir übertragen nun die Eigenschaften von Sequenzen in V auf
Teilmengen von V:
Definition: Es sei V ein Vektorraum. Eine
Teilmenge heißt
- linear unabhängig, falls jede endliche Sequenz von paarweise verschiedenen Vektoren aus A linear unabhängig ist.
- linear abhängig, falls sie nicht linear unabhängig ist.
- maximal (in V), falls
.
- (verallgemeinerte) Basis von V, falls sie maximal und linear unabhängig
ist.
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Beachte:
- Wie im Abschnitt zuvor dient der Ausdruck verallgemeinerte Basis
nur zur Abgrenzung gegenüben den endlichen Basen. Wir verwenden ihn
nur, wenn wir auf diesen Unterschied hinweisen wollen.
- Bei endlichen Basen spielte die Reihenfolge eine Rolle (das Umsortieren
einer Basissequenz lieferte eine neue Basis!). Wir verzichten auf eine
entsprechende Feindifferenzierung im unendlichen Fall, wenngleich dies mit
Hilfe einer Ordnung auf V (Achtung: Auswahlaxiom wird benötigt!)
erreicht werden könnte.
Im endlichen Fall liegen die gerade eingeführten Eigenschaften nun in zwei Versionen vor:
einmal für Sequenzen (alt) und einmal für Teilmengen (neu), so dass Verwechslungen
vorkommen könnten. Die
nachfolgende Bemerkung zeigt aber, dass dies unerheblich ist.
Bemerkung: Es sei V ein Vektorraum, paarweise verschiedene Vektoren aus V. Dann
gilt:
-
linear unabhängig linear unabhängig.
-
linear abhängig linear abhängig.
-
maximal maximal.
-
Basis Basis.
Beweis:
Zu 1.:
"": Wenn jede endliche, wiederholungsfreie Sequenz aus linear unabhängig ist, so gilt dies insbesondere für selbst.
"": Ist nun linear unabhängig, so ist auch jede Teilsequenz von , d.h. jede endliche, wiederholungsfreie Sequenz aus , linear unabhängig.
2. ist mit 1. bereits gezeigt. Zu 3.: Es reicht, die
Gleichheit zu bestätigen. Man sieht sie folgendermaßen ein: Sowohl ; als auch stellen jeweils den kleinsten Untervektorraum dar, der enthält, sie müssen daher identisch sein. 4. folgt direkt aus 1. und
3.
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Mit Hilfe dieser Bemerkung läßt sich für die lineare Abhängigkeit / lineare
Unabhängigkeit eine neue Formulierung finden, die manchmal bequemer einzusetzen
ist:
Bemerkung: Es sei V ein Vektorraum, . Dann
gilt:
- A linear unabhängigjede endliche Teilmenge ist linear unabhängig.
-
A linear abhängiges gibt eine linear abhängige, endliche Teilmenge von A.
Beweis:
Es reicht, 1. zu zeigen. Nach Definition ist A genau dann linear
unabhängig, wenn jede endliche, wiederholungsfreie Sequenz in A linear unabhängig
ist. Nach der Bemerkung zuvor ist das aber gleichbedeutend damit, dass
jede endliche Teilmenge von A linear unabhängig ist.
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Beispiel: Die Menge aller Monome ist eine Basis von .
Beweis: 1. M ist linear unabhängig, denn ist eine endliche Teilmenge von M, so gibt es ein n, derart dass . Nun ist die Sequenz nach einem Ergebnis aus Teil 3 linear unabhängig, also auch jede ihrer
Teilsequenzen, und damit schließlich die Menge E. 2. M ist
trivialerweise maximal, denn jedes Polynom ist per Definition eine
endliche Linearkombination der in ihm vorkommenden Monome.
Beachte:
M
ist keine Basis im alten Sinn, denn ist ein nicht-endlicher Vektorraum.
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Das letzte Beispiel wirft die Frage nach der generellen Existenz von Basen auf. Endliche
Vektorräume besitzen per Definition eine Basis, so dass dieses Problem nur bei
den nicht-endlichen Räumen auftritt. Bei der Beantwortung solcher Fragen
spielt in der Regel die eingesetzte Mengenlehre eine entscheidende Rolle! Für
den Rest dieses Abschnitts setzen wir daher voraus, dass die zugrunde liegende
Mengenlehre das Auswahlaxiom erfüllt.
Der folgende Satz sichert nun die Existenz von Basen für jeden Vektorraum:
Satz: V sei ein beliebiger Vektorraum. Dann läßt sich jede linear unabhängige
Teilmenge zu einer verallgemeinerten Basis ergänzen.
Beweis:
Wir haben die Aufgabe, unter den linear unabhängigen Teilmengen von V,
also im System
,
eine maximale zu finden, die A umfasst.
Wir setzen dazu eine äquivalente Fassung des Auswahlaxioms, das Zornsche
Lemma ein:
sei eine nicht-leere, geordnete Menge. Besitzt jede linear geordnete
Teilmenge von M eine obere Schranke, so gibt es zu jedem ein größtmögliches Element, d.h. ein , so dass
-
- für alle gilt:
Wir können das Zornsche Lemma nun auf die nicht-leere, geordnete Menge anwenden, denn ist eine linear geordnete Teilmenge von B,
so setzen wir
Behauptung: K ist linear unabhängig.
Beweis: Ist eine Sequenz in K, paarweise verschieden, so gibt es Mengen , mit . Da linear geordnet ist, sind die Mengen untereinander vergleichbar; o.E. darf man etwa annehmen:
.
Dann gilt aber:. Als Element von ist linear unabhängig, also ist eine linear unabhängige Sequenz in .
Nach dem Zornschen Lemma gibt es nun zu jedem ein , so dass
-
-
für alle gilt: (+)
Wir zeigen nun: M ist maximal (und damit eine Basis, die A
umfasst). Gäbe es ein , so dass , so wäre linear unabhängig, also ein Element von und eine echte Obermenge von M, im Widerspruch zu (+). Zum Nachweis
der linearen Unabhängigkeit von L geben wir uns eine Sequenz paarweise verschieden, in L vor.
Kommt x unter den nicht vor, so ist eine Sequenz in M, und daher linear unabhängig (!).
Sei also etwa ; dann ist eine Sequenz in M, also linear unabhängig, und .
Nach einem Ergebnis aus Teil 3 ist daher linear unabhängig.
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Folgerung: Jeder Vektorraum V besitzt eine
verallgemeinerte Basis.
Beweis:
Nach dem gerade Bewiesenen läßt sich die linear unabhängige
Teilmenge zu einer Basis ergänzen.
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Mit der Bereitstellung von (verallgemeinerten) Basen auch im unendlichen Fall sind weitere
Fragen verknüpft:
- Lassen sich Koordinatenvektoren einführen?
- Kann man einen Dimensionsbegriff begründen?
Beide Fragen sind - in geeigneter Weise - positiv zu beantworten.
Wir beginnen
mit einer technischen Vorbereitung: Ist eine reellwertige Funktion, so
nennt man die Menge
den Träger (support) von f. Mit dem Symbol bezeichnen wir die Menge aller reellwertigen Funktionen auf A mit endlichem
Träger.
Die Menge ist algebraisch interessant:
ist ein Untervektorraum von
,
denn:
-
.
-
, so dass mit und auch endlich ist.
-
.
Nach dieser Vorbereitung können wir nun das Konzept der Koordinatenvektoren
übertragen:
Bemerkung: Es sei V ein beliebiger Vektorraum und eine Basis. Dann gibt es zu jedem genau eine Funktion mit
.
heißt der zu x
gehörige Koordinatenvektor bzgl. B. Die Funktion
die jedem den ihm
zugehörigen Koordinatenvektor zuweist, nennt man die zu B gehörige Koordinatentransformation.Beweis:
Zuvor beachte man, dass für jedes der Vektor
wohldefiniert ist, denn nur endlich viele der auftretenden
Summanden sind von Null verschieden!
Sei nun gegeben. 1.
Zunächst gibt es überhaupt einen Vektor der geforderten Art, denn da B maximal ist, hat man: , d.h. es gibt eine endliche Teilmenge , etwa , so dass . Man findet daher Skalare , so dass
.
Durch die Festsetzung
ist dann aber offensichtlich ein Koordinatenvektor zu x gegeben.2.
Angenommen: x besitzt zwei verschiedene Koordinatenvektoren und . Ihre Träger E
und F
sind daher endliche Teilmengen von B, also auch die Vereinigung .
Mit B ist nun auch linear unabhängig, so dass man aus der
Gleichheit
die Gleichheit der Koeffizienten ableiten kann:
Elemente außerhalb von gehören weder zum Träger von noch zum Träger von ; hier hat man daher:
,
so dass insgesamt nachgewiesen ist - Widerspruch.
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Beachte:
- Ist V ein endlicher Vektorraum und eine Basis von V, so ist
,
denn fasst man ein über die Zuordnung als eine Funktion , also als ein Element von auf, so hat man:
- Die Transformationsabbildungen nicht-endlicher Vektorräume verhalten sich
ähnlich wie die der endlichen. Insbesondere ist ihre Linearität (→Beweis)
gewährleistet:
- Ebenso wie bei den endlichen Vektorräumen lassen sich die Transformationsabbildungen auch als Ordnungsprinzip einsetzen: Jeder
nicht-endliche Vektorraum läßt sich als Kopie eines geeigneten auffassen.
Um den Dimensionsbegriff einzuführen, muß zunächst sicher gestellt sein, dass zwei verschiedene Basen
stets gleich viele Elemente haben.
Satz: Es sei V ein beliebiger Vektorraum. Sind B und C Basen von V, dann
sind B und C gleichmächtige Mengen; sie besitzen also
dieselbe Kardianlzahl: |
B |
= |
C |. Zum
Beweis unterscheiden wir zwei Fälle:
- V ist endlich.
Da hier die Länge linear unabhängiger Sequenzen beschränkt ist,
müssen die linear unabhängigen Teilmengen B und C
endlich sein, sie sind somit endliche Basen und haben daher nach
Abschnitt 9.5 gleichviele Elemente.
- V ist unendlich.
Für die jetzt unendlichen Mengen B und C reicht es zu zeigen: , denn
vertauscht man anschließend die Rollen von B und C,
erhält man zusätzlich: . Die Gleichheit folgt dann aus dem Schröder-Bernstein Theorem.
Da B eine Basis ist, besitzt jedes einen Koordinatenvektor. Sein Träger ist eine endliche Teilmenge von B. Wir zeigen nun:
Sei dazu . Da C
eine Basis ist,
gibt es endlich viele Vektoren , so dass . Für den Koordinatenvektor hat man daher:
Nun ist (y ist ein Basisvektor aus B!), also können nicht alle sein, d.h. y liegt in mindestens einer der Mengen und damit in der angegebenen Vereinigung.
Nach einem weiteren Satz aus der Mengenlehre enthält diese Vereinigung von | C | vielen endlichen Mengen höchstens | C | viele Elemente. Also ist schließlich:
.
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Definition: Es sei V ein beliebiger Vektorraum und eine Basis. Dann heißt die
Kardinalzahl
die Dimension von V.
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Beachte:
- Der neue Dimensionsbegriff setzt den alten fort, denn für eine endliche
Basis hat man: .
-
.
- Es gilt stets:
.
- Es gelingt nur selten, die Dimension eines nicht-endlichen Vektorraums
direkt zu
bestimmen, denn wenn auch die Existenz von Basen gesichert ist, so ist
doch in den meisten Fällen die Aussicht, eine Basis tatsächlich zu finden
äußerst gering.
Selbst bei einem so überschaubaren Vektorraum wie etwa gelingt dies nicht.
Beispiel:
-
.
Die Menge aller Monome ist eine Basis von und ihre
Kardinalzahl ist:
.
-
.
Setzt man für : , so ist das System eine Basis von der Mächtigkeit .
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Bemerkung: Es sei V ein beliebiger Vektorraum und eine linear unabhängige
Teilmenge von V. Dann gilt:
-
.
-
.
-
.
Beweis:
Zu 1.: Wir ergänzen A zu einer Basis B; aus ergibt sich: .
Zu 2.: Mit 1. erhält man: . Das ist die Behauptung.
Zu 3.: Aus 1. folgt zunächst:
.
Sei nun B eine Basis von V; man hat also insbesondere: . Daher gilt auch:
.
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Natürlich gilt stets: . Für
viele nicht-endliche Vektorräume ist dies aber keine echte Ungleichung, wie die
folgende Bemerkung zeigt.
Ihrem Beweis stellen wir zunächst eine technische Vorbereitung voran: Ist M
irgendeine Menge, so bezeichnen wir mit dem Symbol die Menge aller endlichen Teilmengen von M. Es ist also:
Behauptung: Ist M eine unendliche Menge, so gilt: .
Beweis: Da M unendlich ist, gilt für jedes : .
Für hat man: .
Also ist ´eine abzählbare Vereinigung von Mengen einer Mächtigkeit . Damit ist
.
Andererseits liefert die injektive Zuodrnung die umgekehrte Abschätzung:
.
Bemerkung: Es sei V ein nicht-endlicher
(reeller) Vektorraum. Dann gilt:
.
Ist , so ist darüber hinaus: .
Beweis:
Sei eine nicht-endliche Basis. Da B maximal ist, hat man zunächst:
.
Nun ist für eine endliche, nicht-leere Menge das Erzeugnis gleichmächtig zu einem , d.h.: .
Also ist V die Vereinigung von vielen Mengen einer Mächtigkeit . Also hat man:
.
Falls also , so ergibt sich: , und damit: .
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