Mit Hilfe von Untervektorräumen konnten wir beliebige Ursprungsgeraden,
Ursprungsebenen usw. des darstellen. Eine "gewöhnliche" Gerade
etwa, die den Nullvektor 0 nicht enthält, ist kein Untervektorraum. Mit
den bisherigen Mitteln läßt sie sich also nicht beschreiben.
Andererseits
findet man unter ihren Parallelen (genau!) eine Ursprungsgerade, so dass wir sie
als eine verschobene Urpsrungsgerade auffassen können. Wir erreichen eine
solche Verschiebung, indem wir zu jedem Vektor der Ursprungsgeraden einen festen
Verschiebevektor aufaddieren. Die folgende Definition setzt diesen
Gedanken um.
Definition: Es sei V ein Vektorraum, ein Untervektorraum und . Dann heißt die Menge
ein affiner Unterraum (oder auch eine lineare
Mannigfaltigkeit) von V.
Dabei heißt
-
a Aufpunkt (oder auch Ortsvektor) von .
-
W zugrundeliegender Raum von .
-
Ist speziell ,
so heißen die Vektoren die Richtungsvektoren von .
Wir setzen die Dimension eines affinen Unterraums fest durch: . Einige Sonderfälle werden sprachlich unterschieden: ist
- ein Punkt, falls ,
- eine Gerade, falls ,
- eine Ebene, falls ,
- eine Hyperebene, falls V endlich und ist.
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Beachte:
Die Zugehörigkeit eines Vektors zu einem affinen Unterraum ist
eng gekoppelt mit der Zugehörigkeit zum zugrundeliegenden Raum. Die beiden
folgenden Äquivalenzen sind leicht einzusehen; wir werden sie häufig
einsetzen:
-
.
-
.
Der zugrundeliegende
Raum eines affinen Unterraums ist eindeutig bestimmt! Wir können also von dem
zugrundeliegenden Raum sprechen; ebenso ist der oben eingeführte
Dimensionsbegriff erst dadurch sauber gefasst.
Bemerkung: Es sei ein affiner Unterraum von V und ein Untervektorraum. Dann
gilt:
.
Für den Beweis reicht es offensichtlich, diese Richtung "" nachzuweisen. Die Äquivalenz
zeigt aber, dass und dieselben Elemente
enthalten.
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Wir üben den neuen Begriff an einigen Beispielen:
Beispiel:
-
ist ein Punkt in . Der Nullvektor ist Richtungsvektor und ein Aufpunkt.
-
ist eine Gerade in mit als Richtungsvektor und als einem Aufpunkt.
-
ist eine Ebene in . ist ein Aufpunkt und sind die Richtungsvektoren.
-
ist eine Ebene in . sind die Richtungsvektoren und 5 ist ein Aufpunkt.
-
ist eine Ebene in . Das Polynom ist dabei ein Aufpunkt und die Funktionen sind die Richtungsvektoren.
-
Jeder Untervektorraum ist ein affiner Unterraum von V, denn: .
Die Berechnungen in den ersten drei Beispielen lassen sich natürlich auch umkehren:
-
-
|
Die beiden folgenden Beispiele machen einige affine Unterräume sichtbar:
Beispiel:
Im folgenden Applet können (null- und) eindimensionale affine
Unterräume des , also die Mengen der Form
mit Hilfe der Maus graphisch erzeugt werden. Neben der zeichnerischen Darstellung
wird M sowohl in der dieser Form angegeben als auch als Lösungsmenge
eines linearen Gleichungssystems (vgl. Kapitel 9_9).
Den Aufpunkt a (rot) setzt man durch Klicken in die Zeichenebene. Der
Richtungsvektor v (blau) kann durch Ziehen der Spitze verändert werden.
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Beispiel:
Die (ein- und) zweidimensionalen affinen Unterräume des , also die Mengen der Form
lassen sich nur mit persektivischen Tricks darstellen.
Im nachfolgenden Applet kann man den affinen Unterraum M durch Variieren
der Blickwinkel
phi und theta
von verschiedenen Seiten betrachten. |
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Die Erzeuger v1 und
v2 haben (ohne Einschränkung) die
Länge 1; sie werden über die beiden rechten Halbkugeln
gewählt.
Die Richtung des Aufpunkts a wird über die linke Halbkugel
eingestellt. Zuvor kann man über die Schieberleiste einen Streckungsfaktor
(von -6 bis 6) wählen. Ist die checkbox Aufpunkt aktiviert, so
wird Position des Aufpunkts durch zusätzliche Hilfslinien verdeutlicht.
Alle Einstellungen werden durch Klicken oder Ziehen vorgenommen. Die Achsen
sind in Einerschritten markiert.
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Kehren wir nun zurück zu den allgemeinen Eigenschaften. Zunächst erhalten
wir ein oft nützliches Ergebnis: Aufpunkte von affinen Unterräume sind austauschbar!
Allerdings darf man dazu nur Vektoren aus demselben affinen Unterraum
nehmen.
Bemerkung: sei ein affiner Unterraum in V. Dann gilt:
-
.
-
.
-
.
Beweis:
Zu 1.: .
Zu 2.: Sind x und y Vektoren aus M, so besitzen sie
eine dem entsprechende Darstellung; es gibt also , so dass
Weil nun W ein Untervektoraum ist, hat man: .
Zu 3.: Sei b ein beliebiger Vektor aus M. Wir zeigen
wieder, dass M und dieselben Elemente
enthalten:
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Die nächste Bemerkung stellt eine zentrale Konstruktionsmethode für affine
Unterräume vor. Wir verallgemeinern dabei das bekannte Prinzip "eine
Gerade bereits durch zwei (verschiedene) Punkte eindeutig bestimmt"
zu:
Durch
viele Punkte kann man genau einen kleinsten
affinen Unterraum ziehen.
Affine Unterräume können also maßgeschneidert
werden.
Bemerkung: Sind viele Vektoren aus V, so ist
der kleinste affine Unterraum von V, der enthält.
Beweis:
Zunächst gehört der Aufpunkt zu .
Die restlichen Vektoren lassen die Darstellung
zu und gehören somit ebenfalls zu .
Sei nun ein ein weiterer affiner Unterraum, der auch die Vektoren enthält. Wir müssen zeigen:
.
Zunächst tauschen wir den Aufpunkt von M aus, denn da , ist . Nun argumentieren wir folgendermaßen: Da Differenzen von Vektoren aus M
in W liegen, hat man:
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Beispiel:
-
ist der kleinste affine Unterraum von , der durch und geht.
-
ist der kleinste affine Unterraum von , der durch und geht.
-
ist der kleinste affine Unterraum von , der durch und geht.
-
ist der kleinste affine Unterraum von , der durch geht.
-
ist der kleinste affine Unterraum von , der durch geht.
|
Aufgabe: Berechne den kleinsten affinen Unterraum M
-
von , der durch geht:
-
von , der durch
geht:
-
von , der durch geht:
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In einem der ersten Beispiele sind Untervektorräume als spezielle affine
Unterräume erkannt worden. Die nachfolgende Bemerkung stellt einige Kriterien
zusammen, die diesen Sonderfall ausmachen.
Bemerkung: Für einen affinen Unterraum von V sind die folgenden Aussagen äquivalent:
-
M ist ein Vektorraum
-
-
-
Beweis:
1.2.: Hier
ist nichts zu zeigen.
2.3.: Es gibt also ein , so dass . Folgt: .
3.4.: Mit ist auch , also hat man: . Man kann somit den Aufpunkt von M austauschen: .
4.1.: Hier
ist wieder nichts zu zeigen.
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Treffen zwei affine Unterräume aufeinander, so führt lediglich die
Schnittbildung nicht aus der Klasse der affinen Unterräume heraus.
Bemerkung: und seien zwei affine Unterräume von V.
Ist , so ist wieder ein affiner Unterraum von V.
Beweis:
Sei b ein gemeinsamer Vektor von M und N. Wir
können b sowohl bei M als auch bei N als neuen
Aufpunkt einsetzen:
Nun zeigen wir: . Da ein Untervektorraum ist, ist durch diese Gleichheit die Aussage bewiesen.
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Zur effektiven Berechnung des Schnittraums werden wir allerdings erst dann kommen, wenn wir ein sicheres Verfahren zur
Lösung linearer Gleichungssysteme entwickelt haben. Dies ist u.a. Aufgabe des
nächsten Abschnitts. Hier charakterisieren wir zunächst die möglichen
Lagebeziehungen zweier affiner Unterräume zu einander:
Definition: und seien zwei affine Unterräume von V.
Wir sagen:
-
.
-
M und N sind echt parallel, falls sie parallel
sind und .
- M und N sind windschief, falls sie nicht
parallel sind und .
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Die Bedeutung der affinen Unterräume ist nicht auf den geometrischen Bereich
beschränkt. Bei einer wichtigen Methode zur Konstruktion neuer Vektorräume,
der sog. Quotientenräume, übernehmen sie die Rolle der neuen Vektoren!
Definition: Es sei V ein Vektorraum und ein Untervektorraum. Dann heißt die Menge
der Quotientenraum von V nach W. Die Elemente von werden in diesem Zusammenhang auch Nebenklassen von W
genannt.
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Beachte:
Da die Aufpunkte affiner Unterräume austauschbar sind, kann ein Element von verschiedene Darstellungsformen haben. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang
die folgende Äquivalenz:
Die Quotientenräume von V "erben" auf natürliche
Weise eine Vektorraumstruktur. Wir führen zunächst eine Addition und eine
Skalarenmultiplikation ein:
Definition und Bemerkung: und Elemente von und , so setzen
wir:
-
-
Die so eingeführte Addition und die skalare Multiplikation hängen
nicht von der speziellen Darstellung der Elemente ab, sie sind vertreterunabhängig
definiert. Hat man nämlich
und , also: und , so gilt:
-
, d.h.aber: .
-
, also: .
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Bemerkung: Es sei V ein Vektorraum und ein Untervektorraum. Mit den zuvor eingeführten Rechenoperationen + und · gilt:
ist ein Vektorraum.
Beweis:
Wir überprüfen die 8 definierenden Eigenschaften, wobei wir auf die
entsprechen Eigenschaften in zurückgreifen:
- + ist assoziativ:
.
- + ist kommutativ:
.
-
Es gibt ein neutrales Element 0 bzgl. +, und zwar ist dies :
.
- Jedes Element besitzt ein inverses Element, nämlich :
.
-
.
- .
-
-
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Das folgende allgemeine Beispiel beschreibt die Rolle des kleinsten, bzw.
des größten Untervektorraums bei der Quotientenbildung.
Beispiel: V sei ein beliebiger Vektorraum; dann gilt:
-
ist also die Menge der Punkte in V.
-
. ist stets der Nullraum.
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Es gibt natürlich auch "richtige" Beispiele:
Beispiel:
-
-
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