6.2. Stetige Funktionen
Konvergenz ist die zentrale Eigenschaft der Folgen. In diesem Abschnitt untersuchen wir daher, wie Funktionen mit konvergenten Folgen umgehen. Die "konvergenztreuen" unter ihnen, also diejenigen, die Konvergenz an die Bildfolgen weiter vererben, zeichnen wir aus. Wir gewinnen dadurch eine der wichtigsten Funktionenklassen der Analysis.
Definition: Es sei . Eine Funktion heißt stetig in a, falls für jede Folge in A gilt:
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[6.2.1] |
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In dieser Definition ist die Forderung nach Konvergenztreue noch ein wenig verschärft: Die Bildfolge soll nicht nur irgendwie konvergieren, sondern auch den "richtigen" Grenzwert - - haben. Dies erzwingt, dass der Funktionswert in geeigneter Weise aus den umgebenden Funktionswerten hervorgeht: Wie immer man auf der x-Achse auf a zuläuft (d.h. welche Folge man auch wählt), die Bildfolge wird auf der y-Achse gegen konvergieren.
Beachte:
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Unstetigkeit einer Funktion f in a nachzuweisen:
Man findet eine Folge in A, die gegen a konvergiert, derart dass divergent ist.
Man findet eine Folge in A, die gegen a konvergiert, derart dass zwar konvergiert, aber nicht gegen .
-
Notiert man die Stetigkeitsbedingung in der griffigen Form
,
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[6.2.2] |
so wird folgender Aspekt deutlich: Bei stetigen Funktionen darf man Grenzwert- und Funktionswertbildung vertauschen. Dies führt zu neuen Möglichkeiten, Folgengrenzwerte zu ermitteln.
In einem isolierten Punkt a ist jede Funktion f stetig, denn jede Folge in A, die gegen a konvergiert, muss schließlich konstant sein. Dies überträgt sich auf die Bildfolge, so dass die Konvergenz
gewährleistet ist.
In einer ersten Beispielserie betrachten wir einige häufig vorkommende Funktionen. Sie sind in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs stetig. In den ersten vier Fällen sind die Stetigkeitsnachweise leicht mit den Konvergenzsätzen zu führen.
Beispiel:
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Jede konstante Funktion c ist stetig in jedem ,
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[6.2.3] |
denn: |
-
Jede lineare Funktion ist stetig in jedem ,
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[6.2.4] |
denn: |
-
Jede Potenzfunktion , ist stetig in jedem ,
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[6.2.5] |
denn: |
-
Die Kehrwerte der Potenzfunktionen sind stetig in jedem ,
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[6.2.6] |
denn:
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[6.2.7] |
Sei eine Folge in mit . Wir müssen zeigen: . Dazu geben wir uns ein vor und unterscheiden zwei Fälle:
- : Zu gibt es ein , so dass für alle . Für diese n gilt:
- : Zu gibt es ein , so dass für alle . Nun hat man für diese n:
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Wie bereits angedeutet, bietet [6.2.2] die Möglichkeit, bequem neue Grenzwerte zu berechnen. So weiß man jetzt z.B.:
Durch die Bindung an den Grenzwertbegriff zeichnet die Stetigkeit in a solche Funktionen aus, die in der Nähe von a eine bestimmte Qualität besitzen. Stetigkeit ist somit eine lokale Eigenschaft!
Die nächsten beiden Bemerkungen machen diese Eigenschaft an zwei konkreten Aussagen sichtbar. Zunächst zeigen wir, dass die Stetigkeit in a nicht verloren geht, wenn der Definitionsbereich von f verkleinert wird.
Bemerkung: Ist eine beliebige Funktion und , so gilt
f stetig in a stetig in a
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[6.2.8] |
Die Umkehrung ist i.a. falsch: Gemäß Beispiel [6.2.13] ist die
Heavisidefunktion H
i |
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nicht stetig in 0, obwohl ihre Einschränkung hier stetig ist.
Beweis: Da , ist jede gegen a konvergente Folge in A auch eine gegen a konvergente Folge in B. Man hat daher:
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In einem zweiten Beispiel weisen wir nach, dass sich zwei Funktionen in ihrem Stetigkeitsverhalten nicht unterscheiden, wenn sie in einer Umgebung von a dieselben Werte haben. Zur präzisen Formulierung dieser Eigenschaft führen wir zunächst zwei Begriffe ein.
Für und nennen wir die Menge
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[6.2.9] |
eine relative ε-Umgebung von a.
Zwei Funktionen und heißen in a lokal identisch, falls es ein
gibt, so dass und
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[6.2.10] |
Bemerkung: Sind und in lokal identisch, so gilt:
f stetig in ag stetig in a
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[6.2.11] |
Beweis: Es reicht, nur "" nachzuweisen, denn durch Vertauschen der Rollen von f und g erhält man auch die zweite Richtung. Ist nun eine beliebige Folge in B die gegen a konvergiert, so liegen ab einem geeigneten alle Folgenglieder in
. Für hat man daher:
|
Beachte:
Trivialerweise sind für jedes die Funktionen f und lokal identisch in a. Man hat daher als Spezialfall von [6.2.11]:
f ist stetig in a ist stetig in a für ein
Bei abschnittweise erklärten Funktionen ist [6.2.11] oft von Vorteil. So haben wir etwa für die Betrags- und die Heavisidefunktion:
Beispiel:
-
Die Betragsfunktion ist stetig in jedem , denn:
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[6.2.12] |
Für ist lokal identisch mit der linearen Funktion X, also stetig in a.
Für ist lokal identisch mit der linearen Funktion , somit stetig in a.
Der Fall kann nicht mit dem Trick "lokal identisch" gelöst werden. Ein
Satz über Nullfolgen
i |
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( [5.5.6] ) hilft aber weiter:
|
-
Die
Heavisidefunktion H
i |
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ist stetig in jedem , denn:
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[6.2.13] |
Für ist H lokal identisch mit der konstanten Funktion 1, also in a stetig.
Für ist H lokal identisch mit der konstanten Funktion 0, daher stetig in a.
Ein
Beispiel
i |
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in [6.1] zeigt, dass H in 0 unstetig ist.
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Bisher kennen wir Funktionen, die überall stetig sind und solche, die nur in einem Punkt unstetig sind. Nun stellen wir Funktionen vor, die in keinem bzw. nur in einem Punkt stetig sind. Dabei unterstreicht das zweite Beispiel noch einmal den lokalen Aspekt der Stetigkeit: Die Stetigkeit in einem Punkt hat keinen Einfluss auf das Stetigkeitsverhalten der Funktion in den Nachbarpunkten.
Beispiel:
-
Die Indikatorfunktion
i |
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ist keinem reellen a stetig, denn:
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[6.2.14] |
Für wähle man eine gegen a konvergente Folge in . Dann gilt:
Für wähle man eine gegen a konvergente Folge in . Dann hat man:
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-
Die Funktion ist stetig in 0 und unstetig in jedem , denn:
|
[6.2.15] |
-
Wir zeigen zunächst die Stetigkeit in 0 und geben uns dazu eine beliebige Folge vor. Da , ist das Produkt einer Nullfolge und einer beschränkten Folge, also konvergent gegen .
-
Sei jetzt . Wäre stetig in a, so hätte man:
.
Daraus ergibt sich nun mit dem vierten Grenzwertsatz (wir setzen o.E. voraus):
.
Also wäre in a stetig. Widerspruch!
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Unsere Beispiele enthalten Funktionen, die in mehreren - zum Teil sogar in allen - Punkten stetig sind. Wir nehmen dies zum Anlaß einen erweiteren Stetigkeitsbegriff einzuführen.
Definition: Es sei . Wir nennen eine Funktion stetig auf A, falls f in jedem stetig ist.
Den Zusatz "auf A" lassen wir weg, wenn , f also in jedem Punkt des Definitionsbereichs stetig ist. Die Menge aller auf A stetigen Funktionen bezeichnen wir mit dem Symbol
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[6.2.16] |
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Die bisher betrachteten Beispiele notieren wir in der neuen Schreibweise:
-
Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass die Menge gute algebraische Eigenschaften hat. Wie schon bei der Konvergenz werden wir untersuchen, ob auch die Stetigkeit von Funktionen mit den Grundrechenarten verträglich ist.
Zum Abschluß dieses Teils weisen wir die Stetigkeit der analytischen Funktionen nach. Mit diesem Ergebnis ist dann gemäß [5.12.4] die Stetigkeit der Polynome, der Polynomquotienten sowie der Funktionen sin, cos, tan, cot und exp garantiert:
,
,
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[6.2.17] |
Bemerkung: Ist eine konvergente Potenzreihe, so ist ihre Grenzfunktion in jedem Punkt b ihres Konvergenzbereichs stetig:
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[6.2.18] |
Beweis: Sei beliebig. Nach dem Umordungssatz [5.11.20] gibt es eine konvergente Potenzreihe
, so dass
Die beiden Grenzfunktionen sind also in b lokal identisch. Es reicht daher (siehe [6.2.11]), die Stetigkeit von in b nachzuweisen. Wir müssen also für eine beliebige Konvergenz zeigen:
[1]
Zunächst findet man ein , so dass für alle . Nach [5.11.10] ist dann , und damit auch absolut konvergent, so dass wir folgendermaßen abschätzen können:
Da , konvergiert die rechte Seite gegen 0. Dies sichert und damit die Behauptung [1].
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Da eine analytische Funktion in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs lokal mit der Genzfunktion einer konvergenten Potenzreihe übereinstimmt, erhält man als Folgerung:
Bemerkung: Jede analytische Funktion ist stetig. Man hat also:
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[6.2.19] |
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