6.6. Stetige Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen
Wie bereits angedeutet, haben stetige Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen besondere Eigenschaften. Der Zwischenwertsatz und der Satz über die Annahme des Maximums und Minimums sind hier zwei klassische Stetigkeitssätze. Mit ihnen beschäftigt sich dieser Abschnitt.
Alle hier notierten Ergebnisse gelten nur auf geschlossenen Intervallen und sind darüber hinaus streng an die reellen Zahlen gebunden, denn zentrales Beweisargument ist oft das Vollständigkeitsaxiom, ein Satz, der nur in gültig ist.
Unter allen angeordneten Körpern ist der einzige, der das Vollständigkeitsaxiom erfüllt:
Jede nicht leere, nach oben beschränkte Teilmenge besitzt eine kleinste obere Schranke, das Supremum von A.
Das Supremum von A ist eine eindeutig bestimmte reelle Zahl. Sie wird mit dem Symbol bezeichnet hat. Äquivalent zur notierten Fassung steht auch die folgende Variante zur Verfügung:
Jede nicht leere, nach unten beschränkte Teilmenge besitzt eine größte untere Schranke, das Infimum von A (in Zeichen ).
Supremum und Infimum haben folgende Eigenschaften:
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es gibt ein mit | |
es gibt ein mit |
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Der Nullstellensatz ist anschaulich leicht einzusehen: Da die reelle x-Achse keine Lücken hat, kann sie von einer stetigen Funktion nicht übersprungen, sondern muss von ihr geschnitten werden.
Satz (Nullstellensatz): Es sei . Haben die Funktionswerte an den Intervallgrenzen ein unterschiedliches Vorzeichen, also etwa , so besitzt f eine Nullstelle im Inneren von , d.h. es gibt ein , so dass
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[6.6.1] |
Beweis: Wir skizzieren zunächst die Grundidee: Wählt man unter allen mit negativem Funktionswert das größte aus, so liegen rechts von dieser Stelle nur noch Zahlen mit positiven Funktionswerten. An dieser "Übergangsstelle vom Negativen zum Positiven" darf man daher den Funktionswert 0 erwarten.
Wir betrachten also die Menge
A ist nicht leer, denn da , gehört a zu A. Als Teilmenge von ist A außerdem beschränkt, besitzt also gemäß Vollständigkeitsaxiom ein Supremum.
Setzen wir zur Abkürzung , so hat man zunächst: . Und weil oberhalb von keine Elemente aus A liegen können, ist
[0]
Indem wir die Möglichkeiten und ausschließen, zeigen wir jetzt: :
Ist , also insbesondere , so gibt es gemäß [6.4.1] eine relative -Umgebung , so dass
Da , findet man in ein , so dass für alle . Mit [0] hat man daher: und somit den Widerspruch .
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Ist , also insbesondere , so gibt es, noch einmal nach [6.4.1], eine relative -Umgebung
, so dass
Da , findet man in ein mit im Widerspruch zu [0].
Also ist , womit auch sichergestellt ist.
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Beachte: Die Voraussetzungen für den Nullstellensatz lassen sich nicht abschwächen. So hat z.B.
die auf stetige Funktion keine Nullstelle.
die auf unstetige Funktion keine Nullstelle.
die auf stetige Funktion keine Nullstelle.
Der Nullstellensatz bietet die Grundlage für eine wichtige mathematische Aufgabe: Da sich Gleichungen nur selten exakt lösen lassen, wird man versuchen, auf möglichst gute Näherungslösungen auszuweichen.
Oft benutzt man dazu iterative Verfahren, die eine Folge von (immer besseren) Näherungen liefern.
Dies gelingt zum Beispiel mit einer iterierten Intervallhalbierung, einer Methode, bei der die Lage der Lösungszahl durch immer engere Intervalle eingegrenzt wird. Wir verdeutlichen dieses Verfahren an einem Beispiel: Die Lösungen der Gleichung
sind genau die Nullstellen der stetigen Funktion . Mit dem Nullstellensatz können wir daher folgendermaßen argumentieren:
Da und besitzt f eine Nullstelle im Startintervall .
Im Intervallmittelpunkt ist , daher hat f eine Nullstelle im rechten Teilintervall .
Durch Iteration des vorherigen Schritts erzeugt man eine Folge von Nullstellenintervallen, deren Länge bei jedem Schritt halbiert wird.
Dieses Verfahren der iterierten Intervalhalbierung stellt ein einfaches Approximationsverfahren dar, bei dem die Schnelligkeit der Approximation unberücksichtigt bleibt. Ausgefeiltere Verfahren (wie etwa die regula falsi oder das Newton-Verfahren) versuchen, die Laufzeit zu optimieren.
Wir fahren nun mit dem eigentlichen Thema dieses Abschnitts fort und wenden uns dem Zwischenwertsatz zu. Mit dem üblichen "Differenztrick" können wir ihn leicht aus dem Nullstellensatz gewinnen.
Satz (Zwischenwertsatz): Es sei und . Liegt c zwischen und , also etwa , so gibt es ein , so dass
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[6.6.2] |
Beweis: Für die stetige Funktion hat man: . Also gibt es gemäß Nullstellensatz [6.6.1] ein , so dass
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Wir benutzen noch einmal das Differenzargument um zwei Funktionen vergleichen zu können: Zwei stetige Funktionen müssen sich schneiden, wenn ihre Funktionswerte an den Intervallecken unterschiedlich positioniert sind.
Aufgabe: Es sei , so dass und .
Zeige: f und g besitzen einen Schnittpunkt im Inneren von , d.h. es gibt ein , so dass
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[6.6.3] |
Beweis:
?Für die stetige Funktion hat man: . Gemäß Nullstellensatz [6.6.1] gibt es daher ein mit .
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Den Satz von der Annahme des Maximums und Minimums bereiten wir mit einer Aussage vor, die auch für sich allein interessant ist: Stetige Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen sind beschränkt.
Satz: Ist , so ist f beschränkt, d.h. es gibt ein c, so dass
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[6.6.4] |
Beweis: Nach [6.5.5] ist f auf gleichmäßig stetig. Also gibt zu 1 ein , so dass für alle gilt:
[1]
Da
archimedisch geordnet
i |
Das bedeutet: ist eine unbeschränkte Teilmenge von . Es gibt also eine größte natürliche Zahl k, so dass .
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ist, fällt die Menge endlich aus, d.h. es gibt ein , derart dass
Daraus nun ergibt sich die Abschätzung
,
denn zu jedem , o.E. , findet man ein , derart dass , also , so dass wir mit [1] folgendermaßen abschätzen können:
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Damit ist gewährleistet, dass stetige Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen Schranken haben müssen. Der folgende Satz zeigt darüber hinaus, dass einige dieser Schranken sogar Funktionswerte sind.
Satz (über die Annahme des Maximums und Minimums): Ist , so gibt es zwei Zahlen derart dass
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[6.6.5] |
Beweis: Wir weisen zunächst die Existenz eines Minimums nach. Dazu zeigen wir, dass die nach [6.6.4] existierende Zahl
ein Funktionswert ist. Zunächst ist [2] für alle , und da oberhalb von c keine weiteren unteren Schranken liegen können, gibt es zu jedem ein so dass
[3]
Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß [5.8.6] besitzt die beschränkte Folge einen Häufungspunkt , den wir als Limes einer konvergenten Teilfolge darstellen können: .
Aus [3] gewinnen wir die Ungleichung , die über den Schachtelsatz [5.5.8] und die Stetigkeit von f zur Gleichheit
führt. ist also nach [2] ein minimaler Funktionswert.
Einen maximalen Funktionswert von f finden wir jetzt leicht: Ist nämlich ein minimaler Funktionswert der stetigen Funktion , so ist ein maximaler Wert für f.
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Beachte:
Wie die sin-Funktion zum Beispiel auf dem Intervall zeigt, sind die Maximal- und Minimalstellen in [6.6.5] nicht eindeutig bestimmt
Ebenso kann man nicht auf die Abgeschlossenheit des Intervalls verzichten ( ist auf unbeschränkt), ebenso wenig wie auf die Stetigkeit der Funktion:
zum Beispiel besitzt kein Maximum.
Schließlich ist auch [6.6.6] an die reellen Zahlen gebunden: Die auf stetige Funktion etwa besitzt kein Minimum!
Durch Kombination der beiden zentralen Sätze erhalten wir eine interessante Aussage über die Wertemengen stetiger Funktionen.
Bemerkung: Stetige Funktionen bilden Intervalle auf Intervalle ab:
ist ein Intervall
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[6.6.6] |
Beweis: Nach [6.6.5] gibt es so dass
Der Zwischenwertsatz [6.6.2] garantiert dabei, dass jede Zahl aus ein Funktionswert ist, also ist auch
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