4.5. Polynome
Im letzten Abschnitt haben wir gesehen, dass allein die identische Funktion X durch Potenzieren unendlich viele weitere Funktionen erzeugt. Bereits durch die Hinzunahme der konstanten Funktionen lässt sich aus X (und ihren Potenzen) eine sehr umfangreiche Funktionenmenge konstruieren, nämlich die Menge aller Linearkombinationen der , also Funktionen der Form
.
Da hierbei nur die Addition und die Multiplikation benötigt wird, bietet sich zwar eine Verallgemeinerung auf einen beliebigen Ring R an, wenige zusätzliche Eigenschaften sind aber von Vorteil. Im Folgenden sei nun R ein kommutativer Ring mit 1
i |
D.h. R ist eine nicht-leere Menge mit zwei Verknüpfungen + und ⋅. Dabei gilt:
- + ist assoziativ und kommutativ.
- Es gibt ein neutrales Element 0 bzgl. +.
- Zu jedem gibt es ein inverses Element .
- ⋅ ist assoziativ und kommutativ.
- Es gibt ein neutrales Element 1 bzgl. ⋅.
- ⋅ verhält sich distributiv zu +.
|
.
Wir betrachten dabei zunächst nur den Koeffizientensatz einer solchen Funktion. Um beliebig hohe Potenzen von X verwenden zu können, stellen wir uns darunter eine unendliche Folge in R vor, bei der aber nur endlich viele Glieder von 0 verschieden sind, denn eine echte unendliche Summe soll hier nicht betrachtet werden. Zu jedem Koeffizientensatz wird es daher ein n geben, so dass alle Folgenglieder mit höherem Index den Wert 0 haben.
Definition: Eine Folge in R (siehe [5.1.1]) nennen wir ein Polynom (über R) falls es ein gibt, so dass für alle , falls also p die Form hat.
Die Elemente sind die Koeffizienten von p. Ist , so ist dies der Leitkoeffizient und n der Grad von p (in Zeichen: ). Wir nennen p normiert, falls . Die speziellen Polynome der Form , , heißen auch Monome.
Wir bezeichnen hier mit X die Identität auf R und nennen die Funktion
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[4.5.1] |
die zu p gehörige Polynomfunktion (auch ganz-rationale Funktion) und p selbst ein Generatorpolynom (bzw. Erzeugerpolynom) von .
Die Menge aller Polynome über R bezeichnen wir mit dem Symbol , die aller Polynomfunktionen mit .
Im Spezialfall ersetzen wir X durch Z. Polynomfunktionen zu Elementen von notieren wir also in der Form
.
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Die strenge Unterscheidung zwischen Polynom und Polynomfunktion mag übertrieben aufwändig erscheinen. Sie ist aber notwendig, denn es gibt Ringe bei denen verschiedene Polynome dieselbe Polynomfunktion erzeugen. In diesen Fällen ist also die Generatorabbildung
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[4.5.2] |
nicht injektiv (siehe Beispiele). In [5.5.18] zeigen wir allerdings, dass bei unendlichen Integritätsringen
i |
ein Ring mit unendlicher Trägermenge R also, der nullteilerfrei ist:
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stets injektiv ist, so dass wir hier zwischen p und nicht mehr unterscheiden müssen.
Beachte:
-
Aufgrund ihrer Bauweise sind Polynomfunktionen grundsätzlich Funktionen mit Definitionsbereich R. Für jedes Polynom p gilt also: .
-
Die Funktionswerte einer Polynomfunktion sehen (fast) so aus, wie die Polynomfunktion selbst:
.
-
Die Polynome vom Grad 0 erzeugen die von 0 verschiedenen konstanten Funktionen auf R.
-
Die konstante Folge ist ein Polynom, das sog. Nullpolynom. Es hat keinen Leitkoeffizienten und besitzt somit als einziges Polynom keinen originären Grad. Man definiert daher zusätzlich: . Diese, etwas seltsam anmutende Festlegung, ist i.w. der Gradformel [4.5.5] geschuldet. Die zugehörige Polynomfunktion ist die Nullfunktion auf R.
-
Die Polynome vom Grad 1 erzeugen die nicht-konstanten linearen Funktionen auf R.
-
Aus einer Darstellung kann man i.a. nicht die Information ableiten ( könnte Null sein), sondern nur .
-
Alle Restklassenringe
i |
Der Restklassenring ist für ein beliebiges definiert. Seine Trägermenge ist die Menge aller bei der Division durch n anfallenden Reste, also:
.
Durch die Festsetzungen
-
-
sind daher zwei Verknüpfungen auf gegeben, die zu einem kommutativen Ring machen. In etwa hat man die folgenden Verknüpfungstafeln:
Die Fälle, in denen sogar ein Körper ist, sind genau bekannt:
ist ein Körper n ist eine Primzahl.
|
sind endlich. Es gibt also auch nur endlich viele Funktionen von , so dass insbesondere
eine endliche Menge ist. Da aber die Menge aller Polynome über unendlich ist, kann die Generatorabbildung nicht injektiv sein.
-
Speziell der Restklassenring , der als Körper sogar nullteilerfrei ist, spielt in der Nachrichten- und Codierungstheorie eine wichtige Rolle, sind seine Elemente ja gerade die binären Ziffern 0 und 1. Polynome über , i.w. also endliche Folgen in , werden dort Wörter genannt und die in [4.5.9] vorgestellte Polynomdivision für den CRC-Algorithmus gebraucht.
Beispiel:
-
ist ein Polynom 4. Grades über und ist die zugehörige Polynomfunktion.
-
ist die Polynomfunktion eines normierten Polynoms 12. Grades über . Man beachte hier: für .
-
12 ist die Polynomfunktion eines Polynoms vom Grad 0.
-
In generiert jedes Monom vom Grad i > 0 die Identität auf , denn für alle ist .
-
ist keine Polynomfunktion über , denn hat den Definitionsbereich .
|
Wie alle R-wertigen Funktionen lassen sich auch Polynomfunktionen über die Grundrechenarten verrechnen. Dabei wird sich zeigen, dass gegenüber +, − und ⋅ abgeschlossen ist.
Für den Beweis ist es bequem, zunächst eine analoge Rechenstruktur auch für die Polynome selbst zu haben. Für und führen wir daher die Summe und das sog. Cauchy-Produkt ein:
-
-
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[4.5.3] |
Für und etwa hat man:
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und erzeugen auf eine Ringstruktur. Dazu zeigen wir zunächst, dass und auf abgeschlossen sind. Der damit einhergehende Gradsatz ist für die weiteren Überlegungen von großer Bedeutung.
Bemerkung (Gradsatz): Mit p und q sind auch und Polynome über R. Dabei gilt
-
.
|
[4.5.4] |
-
.
Ist R nullteilerfrei, so gilt die Gradformel:
.
|
[4.5.5] |
Beweis: Sind p und q Polynome, so sind ihre Koeffizienten und nur für endlich viele i von Null verschieden, genauer hat man für und : für und für . Damit ist aber auch
1. ► für alle , womit auch
gegeben ist.
2. ► Beim Produkt argumentiert man wie folgt: Ist , so ist:
.
Also sind höchstens die Koeffizienten von von Null verschieden, deren Index ist. Das belegt auch
.
Sei nun R nullteilerfrei. Ist oder , also oder , so ist nichts zu zeigen, denn da auch , hat man
.
Ist dagegen , so ist auch . Dies ist aber der einzige Summand, der bei der Berechnung des ()-ten Folgenglieds von zu berücksichtigen ist, denn für ist und für hat man
.
Also ist der Leitkoeffizient von und damit: .
|
Wir zeigen nun, dass die Verknüpfungen und auf die für eine Ringstruktur notwendigen Rechengesetze erfüllen.
Bemerkung:
-
ist ein kommutativer Ring mit 1. Dabei ist
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[4.5.6] |
das neutrale Element,
das Einselement,
das inverse Element zu und
die zu gehörige Subtraktion.
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-
Setzt man für und
,
so ist ein R-Modul.
i |
Eine abelsche Gruppe also, so dass
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[4.5.7] |
Die Generatorabbildung ([4.5.2]) ist ein Ringhomomorphismus der die 1 auf die 1 abbildet und ein Modulhomomorphismus.
Beweis:
|
Der Gradsatz [4.5.5] stellt sicher, dass Ringe die Nullteilerfreiheit auf ihre Polynomringe vererben:
Ist R ein Integritätsring, so ist ebenfalls ein Integritätsring.
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[4.5.8] |
Sind nämlich p und q zwei von 0 verschiedene Polynome, also beide von einem Grad , so ist auch . ist damit nicht das Nullpolynom.
Die Generatorabbildung induziert über seine Homomorphieeigenschaften eine Ring- bzw. Modulstruktur auf . Insbesondere sind die Polynomfunktionen daher abgeschlossen bzgl. und , sowie bezüglich der Vielfachenbildung. Genauer hat man für zwei Polynomfunktionen und :
-
-
-
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-
-
|
-
-
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Zwar ist nicht mehr abgeschlossen bzgl. der Division (so ist z.B. in der Quotient keine Polynomfunktion mehr), aber der Polynomring erlaubt eine Division mit Rest, die sog. Polynomdivision.
Bemerkung: Ist ein Polynom vom Grad n und ein normiertes Polynom vom Grad , so gibt es Polynome s und r mit und , so dass
.
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[4.5.9] |
Ist R nullteilerfrei, so sind r und s eindeutig bestimmt.
Beweis: Wir zeigen zunächst die Existenz von s und r und setzen dabei ein konstruktives Verfahren ein. Dadurch kann man in konkreten Beispielen die Polynome s und r auch wirklich ermitteln! Ein Maß für den zu leistenden Aufwand ist dabei die Graddifferenz .
Per Rekursion (siehe
[5.2.8]) konstruieren wir jetzt eine Folge von vielen Polynomen und beginnen mit . Ist nun bereits gegeben, so setzen wir , wobei
[0]
Wir zeigen zunächst per Induktion (siehe [5.2.2]) für alle :
[1]
-
Da , gilt die Aussage für den Fall .
-
Sei jetzt bereits gegeben, d.h. man hat für alle . Ist nun , so ist insbesondere , also gemäß [0]:
.
Wir unterscheiden nun zwei Fälle:
1. , also auch . Dann aber ist und , man hat also: .
2. . Da , hat man hier:
.
Damit ist aber sichergestellt.
Diese Information über erlaubt es nun, die Rekursion [0] auf die Polynomfunktionen zu übertragen. Für ist
. [2]
Beweis:
Mit einem zweiten Induktionsbeweis zeigen wir jetzt für alle :
. [3]
-
Für erhält man aus [2]:
.
-
Ist die Aussage für ein i wahr und , so hat man wieder mit [2]:
Mit erhalten wir aus [3] schließlich
,
so dass mit und die Existenz von s und r gesichert ist, denn [1] garantiert, dass
und da , hat man auch: .
Nun zur Eindeutigkeit: Angenommen s' und r', , seien zwei weitere Polynome, so dass . Dann hat man aber und damit
.
Ist , also , so ist auch . Falls , gilt gemäß Gradformel [4.5.5]:
.
- Widerspruch.
|
Wir üben die Polynomdivision anhand der im Beweis eingeführten Rekursion auf einer eigenen Seite. Dort gibt es auch ein Formular, mit dem beliebige Polynomdivisionen durchgeführt werden können.
Der Darstellungssatz [4.5.9] ist sehr hilfreich bei der Untersuchung der Nullstellen von Polynomfunktionen. Wir halten zunächst fest, dass die Nullstellensuche und das Lösen von Gleichungen höheren Grades dieselben Probleme darstellen. Ist nämlich , so hat man:
.
Der folgende Satz nennt ein wichtiges Kriterium für die Existenz einer Nullstelle von .
Bemerkung: Ist p ein Polynom vom Grad und . Ist nicht die Nullfunktion, so gilt:
|
[4.5.10] |
c ist also genau dann Nullstelle von , wenn sich (und das ist der hier übliche Sprachgebrauch) "der zu c gehörige Linearfaktor von abspalten lässt".
Beweis: : Da gibt es gemäß [4.5.9] Polynome s und r mit und , also , so dass
.
Ist jetzt c Nullstelle von , so weiß man:
.
Beachtet man, dass aufgrund der Gradbeschränkung von r die Polynomfunktion konstant ist, hat man , also: .
: Ist , so hat man: .
|
In manchen Fällen ist c nicht nur eine Nullstelle von , sondern darüber hinaus auch von , so dass sich auch von der Linearfaktor abspalten lässt. Die Darstellung (mit einem neuen ) lesen wir dann so, dass zweimal von abgespaltet werden konnte. Dieses Konzept der mehrfachen Abspaltbarkeit führt zu einer Verschärfung von [4.5.10].
Bemerkung: Es sei p ein Polynom vom Grad und . Ist nicht die Nullfunktion, so gilt:
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[4.5.11] |
Ist R nullteilerfrei, so ist die Zahl i eindeutig bestimmt. Wir nennen sie die Ordnung (oder die Vielfachheit) der Nullstelle c.
Beweis: Die Richtung "" ist trivial. Zum Nachweis der Richtung "" betrachten wir die Menge
.
Sie ist nicht leer, da nach [4.5.10] 1 zu M gehört, und beschränkt (durch n). Zu
gibt es zunächst ein Polynom s vom Grad , so dass . Ist , so ist konstant, und zwar von Null verschieden, denn sonst wäre auch die Nullfunktion. Also ist insbesondere . Dies gilt auch im Fall , denn andernsfalls gäbe es nach [4.5.10] ein vom Grad mit , also , im Widerspruch zur Maximalität von i.
Sei nun R nullteilerfrei und ein weiteres Polynom, so dass und . j ist damit ein Element von M, d.h. . Falls nun hat man
.
Mit der Eindeutigkeitsaussage in [4.5.9] (mit ) ergibt sich daraus die Gleichheit und damit der Widerspruch .
|
Beachte:
-
Eine mehrfache Nullstelle c von ist auch eine gewöhnliche Nullstelle, denn man hat ja: .
-
In nullteilerfreien Ringen ist jede Nullstelle c von eine mehrfache Nullstelle mit einer eindeutig bestimmten Ordnung.
Durch Iteration von [4.5.11] erhält man für nullteilerfreie Ringe auch ein Kriterium für mehrere Nullstellen einer Polynomfunktion:
Bemerkung: R sei nullteilerfrei, p ein Polynom vom Grad und . Ist nicht die Nullfunktion, so gilt für paarweise verschiedene Elemente :
|
[4.5.12] |
Beweis: Die Richtung "" ist trivial, denn als Nullstelle von ist automatisch auch Nullstelle von . Für "" führen wir einen Induktionsbeweis:
-
Ist , so liegt die Situation [4.5.11] vor.
-
Sei [4.5.12] jetzt für ein bereits wahr. Sind paarweise verschiedene Nullstellen von , so gibt es zunächst geeignete und ein Polynom s vom Grad , so dass
.
Insbesondere ist nicht die Nullfunktion. Ferner ist gemäß Voraussetzung von allen verschieden. Da R nullteilerfrei ist, hat man . Mit ist, noch einmal mit dem Argument "nullteilerfrei", auch . Da kann nicht konstant sein, d.h. .
Daher gibt es nach [4.5.11] nun ein und ein Polynom vom Grad , so dass und [4]. Insgesamt hat man also:
Schließlich ist auch für die ersten k Nullstellen, denn andernfalls wäre nach [4] auch .
|
Dabei ist . Diese Information aber hat interessante Konsequenzen über die mögliche Anzahl von Nullstellen einer Polynomfunktion, denn ist s nicht das Nullpolynom, so kann unmöglich sin.
Bemerkung: R sei nullteilerfrei und p ein Polynom vom Grad . Ist nicht die Nullfunktion, so gilt:
-
besitzt höchstens n Nullstellen.
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[4.5.13] |
-
besitzt genau dann n (nicht notwendig verschiedene) Nullstellen, wenn "vollständig in Linearfaktoren zerfällt": .
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[4.5.14] |
-
Hat eine beliebige Polynomfunktion mit mehr als n Nullstellen, so ist die Nullfunktion.
|
[4.5.15] |
Beweis:
1. ► Hat n Nullstellen, etwa , so gibt es nach [4.5.12] Zahlen , , und ein Polynom s vom Grad , , so dass
.
Da , ist von 0 verschieden und konstant, also für alle , so dass keine weiteren Nullstellen besitzt. kann also weniger, aber nicht mehr als n Nullstellen besitzen.
2. ► Die Richtung "" ist trivial und "" steht bereits im Beweis zu 1.
3. ► Dies ist i.w. die Aussage 1, denn ist nicht die Nullfunktion, so hat nicht mehr als n Nullstellen.
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Wir illustrieren [4.5.14] an einem Beispiel in : Die Polynomfunktion zerfällt vollständig. Zunächst findet man (durch Probieren) in 1 eine Nullstelle, so dass gemäß [4.5.10] die folgende Division ohne Rest aufgehen wird:
Wegen liefert die Polynomfunktion zwei weitere Nullstellen. Damit hat man die folgende Zerlegung:
.
[4.5.15] zeigt insbesondere, dass von Null verschiedene Polynomfunktionen etwa über nicht unendlich viele Nullstellen besitzen können. Daher weiß man z.B. jetzt: sin und cos sind keine Polynomfunktionen.
Über das Nullstellenverhalten der Polynomfunktionen gelingt es auch, ein wichtiges Kriterium für die Gleichheit zweier Polynomfunktionen zu beweisen: Zwei Polynomfunktionen eines unendlichen Integritätsrings sind genau dann gleich, wenn sie in allen Koeffizienten übereinstimmen.
Bemerkung (Identitätssatz für Polynomfunktionen): R sei ein unendlicher Integritätsring. Sind und zwei Polynome vom Grad , so gilt:
-
.
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[4.5.16] |
-
.
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[4.5.17] |
Beweis: Wir zeigen nur die jeweils erste Äquivalenz. Die zweiten sind offensichtlich.
1. ► Sei . Ist , so ist nicht die Nullfunktion, denn: . Ist für ein , so ist , hat also nach [4.5.13] nur endlich viele Nullstellen. Widerspruch. Die Richtung "" ist trivial.
2. ► Mit 1. hat man:
.
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[4.5.16] drückt die bereits in [4.5.2] angesprochene Injektivität der Generatorabbildung für unendliche Integritätsringe aus:
.
|
[4.5.18] |
Aufgrund dieser Tatsache werden wir für unendliche Integritätsringe nicht mehr zwischen Polynom und Polynomfunktion unterscheiden. Insbesondere sprechen wir vom Grad einer Polynomfunktion oder einer Nullstelle und dem Funktionswert eines Polynoms.
[4.5.17] erlaubt den sog. Koeffizientenvergleich: Zwei Polynomfunktionen sind genau dann gleich, wenn sie in allen Koeffizienten übereinstimmen.
Eine weitere Konsequenz aus dem Nullstellenverhalten der Polynome ist die erstaunliche Tatsache, dass ein Polynom (über einem Körper++info) vom Grad bereits durch viele Funktionswerte eindeutig bestimmt ist.
Satz (Lagrangescher Interpolationssatz): Für einen beliebigen Körper K gilt: Sind viele Punkte des mit paarweise verschiedenen , so gibt es genau ein Polynom p vom Grad so dass
für alle i.
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[4.5.19] |
p heißt das zu den Stützpunkten (bzw. Knoten) gehörige Lagrangesche Interpolationspolynom.
Beweis: Zunächst zur Eindeutigkeit: Angenommen q ist ein weiteres Polynom dieser Art. Dann hat das Polynom viele Nullstellen, denn , aber im Widerspruch zu [4.5.13].
Den Nachweis der Existenz führen wir konstruktiv. Für setzen wir
.
Diese sog. Lagrangeschen Grundpolynome sind (faktorisierte) Polynome vom Grad n. Man beachte, dass das Nennerprodukt, also die Zahl
ungleich 0 ist, denn die sind paarweise verschieden und der Faktor kommt nicht vor!
Wir berechnen nun die Werte, die an den Stellen annimmt:
Zunächst hat man , denn in diesem Fall stimmen Zähler und Nenner überein. Für tritt im Zähler der Faktor auf, also ist hier . Für das Polynom
gilt daher . Schließlich ist der Grad von p höchstens gleich n.
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Diese konstruktive Methode hat Lagrange 1795
i |
J.L. Lagrange, ”Leçons élémentaires sur les mathématiques données a l’école normale (1795)”, Oeuvres de Lagrange 7, Gauthier-Villars, Paris, 183–287 (1877).
Der relevante Text findet sich ab Seite 283. Das pdf-Dokument stammt aus der Bibliothèque nationale de France.
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veröffentlicht. Obwohl diese Methode mit seinem Namen vebunden ist, ist er möglicherweise nicht ihr Urheber, denn der englische Mathematiker Woring publizierte das Verfahren bereits im Jahr 1779
.
Wir üben das Lagrangeverfahren in an einigen Beispielen. Die Beispielseite enthält außerdem ein Formular, das Interpolationspolynome zu beliebigen Stützpunkten erstellt.
Das folgende Applet, mit dem reelle Polynome (bis zum Grad 7) skizziert werden können, macht die Vielgestaltigkeit dieser Funktionengruppe deutlich.
i |
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