8.8. Die Exponentialfunktion
Im letzten Abschnitt konnten wir die Umkehrbarkeit der Logarithmusfunktion nachweisen. Jetzt studieren wir ihre Umkehrfunktion , die wir mit dem Symbol bezeichnen: Die Funktion
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[8.8.1] |
nennen wir die (natürliche) Exponentialfunktion oder auch kurz die e-Funktion.
Die Potenzschreibweise für die e-Funktion rechtfertigen wir im nächsten Abschnitt 8.9 und in [8.8.25] beweisen wir die Identität , so dass der Name "Exponentialfunktion" zu keinen Konflikten mit [5.9.18] führt. Mit [8.8.1] haben wir somit einen alternativen, von der Reihenrechnung unabhängigen Zugang zur Exponentialfunktion gefunden. Viele ihrer Eigenschaften ergeben sich direkt aus den entsprechenden Eigenschaften des Logarithmus. So ist etwa der Graph als Spiegelung des ln-Graphen an der Winkelhalbieren sofort verfügbar.
besitzt zunächst die kennzeichnenden Eigenschaften einer Umkehrfunktion.
Bemerkung:
1. für alle .
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[8.8.2] |
2. für alle .
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[8.8.3] |
Beweis: Eine Funktion und ihre Umkehrfunktion heben sich in ihrer Wirkung gegenseitig auf:
1. und 2. stellen genau diesen Sachverhalt dar.
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Mit [8.8.2] können wir erste Funktionswerte der e-Funktion berechnen: Da und (siehe [8.7.12]), hat man:
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[8.8.4] |
Über die zentrale Ungleichung des Logarithmus finden wir auch eine Möglichkeit, alle Funktionswerte der e-Funktion zu berechnen. Allerdings benötigen wir dazu die Stetigkeit der e-Funktion, so dass wir uns zunächst über ihre analytischen Eigenschaften informieren.
Bemerkung:
1. ist stetig.
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[8.8.5] |
2. ist differenzierbar und .
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[8.8.6] |
3. ist beliebig oft differenzierbar und .
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[8.8.7] |
4. ist integrierbar und ist eine ihrer Stammfunktionen.
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[8.8.8] |
Beweis: Man beachte zunächst, dass für alle .
1. ► [7.5.3] sichert damit die Stetigkeit von in jedem .
2. ► Mit [7.5.4] ist darüber hinaus die Differenzierbarkeit von gewährleistet, wobei
für alle .
3./4. ► Beide Aussagen sind direkte Folgerungen aus 2.
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In [8.8.6] ist die große Bedeutung der e-Funktion angelegt: Sie ist eine nicht-triviale Funktion, die mit ihrer eigenen Ableitung übereinstimmt, eine Funktion also, die die "Differentialgleichung" löst.
Mit der jetzt vorliegenden Stetigkeit können wir die oben angekündigte Berechnung beliebiger Funktionswerte einrichten.
Bemerkung: Für alle ist
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[8.8.9] |
Beweis: Sei fest. Für alle ist , also . Mit [8.7.11] ergibt sich daher für die folgende Abschätzung:
Gemäß Schachtelsatz [5.5.8] hat man daher: . Mit [8.8.2] garantiert nun die Stetigkeit der e-Funktion:
.
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Wir stellen nun einige elementare Eigenschaften der e-Funktion zusammen. 1. und 2. in der nachfolgenden Bemerkung zeigen, dass die e-Funktion weder Nullstellen, noch Extrem- oder Wendestellen besitzt.
Bemerkung:
1. für alle .
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[8.8.10] |
2. ist streng monoton steigend und streng konvex (linksgekrümmt).
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[8.8.11] |
3. für alle .
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[8.8.12] |
4. für alle .
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[8.8.13] |
Beweis:
1. ► drückt noch einmal die Tatsache aus, dass den Bildbereich hat: .
2. ► Nach 1. ist für alle x. Die Behauptung folgt daher aus der strengen Version des Monotonie- bzw. Krümmungssatzes ([7.10.5] bzw. [7.10.13]).
3./4. ► erhält man mit dem Funktionswert direkt aus der strengen Monotonie.
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Viele Eigenschaften der e-Funktion ergeben sich direkt aus den entsprechenden Eigenschaften der Logarithmusfunktion, so etwa die folgenden Rechenregeln für die e-Funktion.
Bemerkung (Rechenregeln für ): Für alle , gilt:
1.
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[8.8.14] |
2.
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[8.8.15] |
3.
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[8.8.16] |
4.
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[8.8.17] |
5. für
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[8.8.18] |
Beweis: Alle Nachweise arbeiten mit den Identitäten und (siehe [8.8.2/3]).
1. ► ergibt sich aus [8.7.7]: ,
2. ► aus [8.7.8]: ,
3. ► aus [8.7.9]: ,
4. ► aus [8.7.6]: und
5. ► aus [8.7.10]: .
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Auch die zentrale Ungleichung [8.7.11] für den Logarithmus, einschließlich ihrer Erweiterung [8.7.13], läßt sich auf die e-Funktion übertragen. Wir gewinnen so die zentrale Ungleichung für .
Bemerkung: Für alle ist
1.
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[8.8.19] |
2.
für alle
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[8.8.20] |
3. für alle
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[8.8.21] |
Beweis:
1. ► Wir setzen in die zentrale Ungleichung für ln ein:
Mit [2] hat man sofort: . Multipliziert man [1] mit , so erhält man zunächst , und damit: .
2./3. ► Diesmal setzen wir in die Erweiterung [8.7.13] ein und erhalten
.
Mit [4] hat man zunächst . Ist nun , also , so folgt daraus
.
Aus [3] erhält man . Für , also , ergibt sich daraus
.
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Wir untersuchen nun das Grenzwertverhalten der e-Funktion. Während [8.8.21] den Grenzwert für liefert, zeigt [8.8.19] die Unbeschränktheit: . Über die spezielle Art des Wachsens gibt dabei [8.8.20] Auskunft: wächst stärker gegen Unendlich als jede Potenz, d.h. für hinreichend große x.
Bemerkung: Für jedes *) gilt:
1.
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[8.8.22] |
2.
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[8.8.23] |
___________
*) Potenzen mit beliebigen Exponenten werden in 8.9 eingeführt.
Beweis:
1. ► Wir wählen ein festes . Nach [8.8.20] gilt dann für alle die Abschätzung
,
so dass die Behauptung mit dem Grenzwert folgt.
2. ► Wir benutzen [8.8.23] mit . Für alle gilt dann die Abschätzung
,
und damit die Behauptung, denn: .
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In [5.9.18] haben wir mit die Exponentialfunktion eingeführt. Die im Zusammenhang mit [8.8.1] gemachte Zusage lösen wir jetzt ein und greifen dazu auf die in 7.9 eingeführten Taylorreihen
zurück (für einen alternativen ad-hoc Beweis hier klicken). Wir berechnen zunächst das Taylorpolynom und das Lagrangesche Restglied der -Funktion . Mit ihrem Ableitungsverhalten [8.8.7] ist dies eine leichte Aufgabe.
Bemerkung: Sei . Zu jedem gibt es ein zwischen 0 und x, so dass
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[8.8.24] |
Beweis: Wir wenden den Taylorsatz [7.9.16] an und erhalten mit und :
für ein geeignetes .
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Mit [8.8.24] ist nun die Gleichheit der beiden Exponentialfunktionen und exp i.w. bereits gezeigt:
Bemerkung: Für alle ist
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[8.8.25] |
Beweis: Für ist nichts zu zeigen (). Sei also . Mit [8.8.24] folgt daher Behauptung, wenn wir das Langrangesche Restglied als eine Nullfolge nachweisen können:
.
Die stetige Funktion ist auf dem von 0 und x gebildeten abgeschlossenen Intervall beschränkt. Es gibt also ein c so dass . Wählt man jetzt ein mit , so gilt für alle :
Die Behauptung folgt nun mit dem Schachtelsatz [5.5.8].
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[8.8.25] belegt zusammen mit [8.8.9] überdies die Identität
In [5.9.18] haben wir mit die Exponentialfunktion eingeführt. Die im Zusammenhang mit [8.8.1] gemachte Zusage lösen wir jetzt ein. Den Nachweis dieser Gleichung beginnen wir mit einer technischen Vorüberlegung (für einen kürzeren Beweis per Taylorreihe hier klicken).
Bemerkung: Sei . Dann gilt für alle :
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[8.8.24] |
Beweis: Für ist nichts zu zeigen. Für führen einen Induktionsbeweis. Man beachte dabei, dass die e-Funktion nur positive Werte besitzt und monoton wächst.
-
Sei . Da , ergibt sich der Induktionsanfang aus der Abschätzung
.
-
Sei nun [8.8.24] für ein beliebiges n bereits gültig. Mit der Monotonie des Integrierens ([8.2.10]) erhalten wir damit für
1. ► , also :
Mit als Stammfunktion zu erhält man daraus
Dies aber ist die Induktionsbehauptung, denn und
.
2. ► , also :
Da jetzt eine Stammfunktion zu ist, ergibt sich hier
Mit und erhält man also zunächst
und nach Multiplikation mit auch jetzt wieder die Induktionsbehauptung.
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Mit [8.8.24] ist nun die Gleichheit der beiden Exponentialfunktionen und exp i.w. bereits gezeigt:
Bemerkung: Für alle ist
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[8.8.25] |
Beweis: Nach [8.8.24] ist für ein festes x
so dass die Behauptung aus dem Schachtelsatz [5.5.8] folgt.
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[8.8.25] belegt zusammen mit [8.8.9] überdies die Identität
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[8.8.26] |
eine in 5.9 bereits angedeutete Möglichkeit zur Berechnung von .
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