Stammfunktionen zu Polynomquotienten (Partialbruchzerlegung)
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns ausschließlich mit Funktionen der Form , mit Polynomen r und s, wobei wir o.E. s als nicht konstant und normiert annehmen dürfen. Als stetige Funktion besitzt f auf Intervallen, also z.B. zwischen je zwei benachbarten Nullstellen von s, eine Stammfunktion. Ein Konzept zur Ermittlung solcher Stammfunktionen stellen wir hier vor und beziehen uns dabei auf zwei grundlegende Sätze über Polynome:
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Fundamentalsatz der Algebra
Jedes nicht konstante, normierte Polynom s über zerfällt vollständig in ein Produkt aus linearen und nicht zerlegbaren quadratischen Polynomen:
[1]
Dabei ist die Unzerlegbarkeit der quadratischen Polynome eine Eigenschaft ihrer Diskriminante:
unzerlegbar
Insbesondere ist daher , so dass nur positive Werte annimmt (Auf Intervallen haben bei stetigen Funktionen ohne Nullstellen alle Funktionswerte ein einheitliches Vorzeichen!)
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Satz über die Partialbruchzerlegung
Jeder Polynomquotient mit nicht konstantem, normiertem Nenner s läßt sich unter Verwendung der Zerlegung [1] und einem geeigneten Polynom t als eine Summe schreiben:
Dabei ist t das Nullpolynom, falls . Im anderen Fall ist .
Beide Sätze, und in hohem Maß betrifft dies den Fundamentalsatz der Algebra, sind reine Existenzsätze! In den Anwendungen ist dies das eigentliche Problem: Die zur Partialbruchdarstellung notwendige Zerlegung des Nenners zu finden, ist oft unmöglich und gelingt nur in einigermaßen überschaubaren Fällen.
Beispiel: Wir finden eine Partialbruchzerlegung zu
-
Zunächst entdecken wir (der Reihe nach), dass 1 zweimal Nullstelle des Nennerpolynoms ist, so dass wir nach zweifacher Polynomdivision die Zerlegung
gewinnen.
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Durch eine weitere Polynomdivision erhalten wir zunächst die Darstellung
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Über den Ansatz
liefert uns ein Koeffizientenvergleich das Gleichungssystem
so dass f die folgende Partialbruchzerlegung besitzt:
[2]
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Liegt eine Partialbruchzerlegung von f vor, so erhält man eine Stammfunktionen zu f, wenn man zu jedem Summanden der Zerlegung eine Stammfunktion finden kann. Dies aber reduziert das Problem auf nur zwei Quotiententypen, nämlich auf die Quotienten ()
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-
mit
Zu Quotienten des ersten Typs findet man leicht Stammfunktionen, wobei im Fall allerdings der natürliche Logarithmus ln
i |
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aus Kapitel 8 benötigt wird.
Bemerkung:
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ist eine Stammfunktion zu .
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[8.0.1] |
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Für ist eine Stammfunktion zu .
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[8.0.2] |
Beweis:
1. ► In [8.7.1] führen wir auf die Funktion ln als eine Stammfunktion zur Kehrwertfunktion ein, d.h. ln ist differenzierbar und
für alle
Mit der Kettenregel [7.7.8] und der Ableitung der Betragsfunktion [7.4.3] ergibt sich daher die Differenzierbarkeit von mit
als Ableitung.
2. ► ist i.w. eine Potenz von X, also differenzierbar. Die Ableitung errechnen wir mit der
Potenzregel
i |
für alle
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:
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Beispiele sind in der Regel leicht zu überblicken. So ist etwa
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eine Stammfunktion zu .
-
eine Stammfunktion zu .
Die Behandlung der Quotienten des zweiten Typs ist deutlich aufwändiger. Allerdings darf man sich dabei wegen der Zerlegung
[3]
nur auf die beiden Fälle und beschränken, wobei der erste Fall wenig Mühe macht.
Bemerkung:
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ist eine Stammfunktion zu .
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[8.0.3] |
-
Für ist eine Stammfunktion zu .
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[8.0.4] |
Beweis: Beide Aussagen sind mit Hilfe der Kettenregel leicht zu bestätigen. Bei 1. beachte man, dass gemäß Voraussetzung nur Werte annimmt. ist also auf ganz definiert.
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Zum Beispiel finden wir in
-
eine Stammfunktion zu .
-
eine Stammfunktion zu .
Im zweiten Fall steckt die eigentliche Arbeit. Es sei noch einmal daran erinnert, dass hier die Diskrimante negativ, also positiv ist. Zunächst zeigen wir, dass man sich im Nenner auf das Polynom beschränken darf.
Bemerkung: Ist g eine Stammfunktion zu , so ist
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[8.0.5] |
eine Stammfunktion zu .
Beweis: Die Kettenregel garantiert die Differenzierbarkeit der Funktion in [8.0.5] und liefert die folgende Ableitung:
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Stammfunktionen zu gewinnen wir schließlich per Rekursion. Für den Rekursionsanfang benötigen wir dabei den Arcustangens,
,
die Umkehrfunktion von
i |
Die Umkehrbarkeit von belegt man in zwei Schritten:
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Die Injektivität folgt aus [7.9.6], denn
für alle .
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Die Surjektivität ergibt sich mit einer Folgerung aus dem Zwischenwertsatz [6.6.2] aus den Grenzwerten
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.
Bemerkung:
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ist eine Stammfunktion zu .
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[8.0.6] |
-
Ist g eine Stammfunktion zu , so ist
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[8.0.7] |
eine Stammfunktionen zu .
Beweis:
1. ► Da für alle ist arctan gemäß [7.5.4] differenzierbar mit
wobei die Umformung [+] durch die Gleichheit gegeben ist.
2. ► Die Funktion in [8.0.7] ist nach Quotientenregel [7.7.7] differenzierbar. Ihre Ableitung errechnen wir zu:
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Wir verfolgen dieses Verfahren an einem Beispiel.
Beispiel:
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Eine Stammfunktion zu findet man nach der Rekursion [8.0.7] in drei Schritten:
ist eine Stammfunktion zu .
ist eine Stammfunktion zu .
ist eine Stammfunktion zu .
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Sucht man nun eine Stammfunktion zu , so errechnet man aus den Daten und zunächst die Diskriminante und erhält dann mit dem zweiten Schritt des gerade notierten Beispiels über [8.0.5]
als eine Stammfunktion.
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Um schließlich eine Stammfunktion zu zu finden, betrachten wir zunächst gemäß [3] die Zerlegung
und gewinnen daraus mit [8.0.4] und dem Vorergebnis
als eine Stammfunktion.
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Zum Abschluss kehren zu unserem Eingangsbeispiel zurück. Dort hatten wir zu
in [2] die Partialbruchzerlegung
ermittelt. Damit ist f vollständig in beherrschbare Grundtypen zerlegt. Eine Stammfunktion zu f können wir also aus den einzelnen Stammfunktionen zusammen setzen:
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